Gefahrenguttransporter mit Sprengstoff umgestürzt

Anfang August erschütterte - wie bereits ausführlich berichtet - eine gewaltige Detonation die libanesische Hauptstadt Beirut. Auslöser dieser Katastrophe war Ammoniumnitrat, welches aufgrund seiner Eigenschaften unter anderem zur Herstellung von Sprengstoffen verwendet wird. Genau diese chemische Substanz forderte am 16. September 2020 auch die Einsatzkräfte im steirischen Vordernberg - wenn auch mit glücklicherweise glimpflicherem Ausgang. Der für den Gesteinsabbau am Erzberg benötigte Sprengstoff wird in flüssiger Form mittels Lastkraftwagen zum Bestimmungsort befördert, dabei kommt das Gespann aus Kroatien vermutlich aufgrund überhöhter Geschwindigkeit ins Schleudern und kippt auf der Bergfahrt zum Präbichl - kurz vor dem Ziel in Richtung Eisenerz - in der sogenannten „Arena-Kurve“ um. Eine gefährliche Situation, welche schnell zu einer Katastrophe ausarten hätte können.

Die örtlich zuständige Feuerwehr Vordernberg wird um 09:12 Uhr mit dem Alarmstichwort „T03-Verkehrsunfall“ auf die Eisenbundesstrasse (B115) alarmiert. Zu diesem Zeitpunkt geht man von einem Routineeinsatz, zu welchem die Kräfte aus Vordernberg immer wieder - vor allem auf dem Präbichl - zur Hilfeleistung herangezogen werden, aus. Nach einer Anfahrtszeit von etwa 15 Minuten erreicht das Löschfahrzeug mit Bergeausrüstung (LFBA) die in etwa 8 Kilometer Entfernung liegende Einsatzstelle. „Während der Anfahrt unserer Kräfte wussten wir nichts über einen etwaigen Gefahrgutunfall“ berichtet uns dazu der Vordernberger Kommandant, HBI Christian Lanner. Als wir ersteintreffend am Einsatzort ankamen, war unser erster Gedanke: „Shit, der liegt wirklich und orange Warntafeln sind auch dabei“ erzählen uns LM d.F. Bianca Mlatschnig und OFM Ralph Theiss, danach wird langsam das Ausmaß sichtbar: Die Zugmaschine und der Sattelanhänger durchbrachen in der engen Kurve die Leitschiene und kamen beide seitlich liegend zum Stillstand, die Polizei ist bereits vor Ort und leitet die an beiden Seiten der Unfallstelle zum Stehen gekommenen Verkehrsteilnehmer ab. Der Fahrer hat sich selbstständig aus der Zugmaschine befreit und wird vom ebenfalls anwesenden Roten Kreuz versorgt, kann aber zu diesem Zeitpunkt aufgrund vorherrschender Verständigungsprobleme keine gesicherten Informationen über seien Ladung erteilen. In der Erstphase führen Bianca und Ralph gemeinsam die Erkundung durch, schnell erkennen sie aufgrund der Kennzeichnung des verunfallten Transporters die Gefahr und führen die weitere Erkundung unter Einhaltung der GAMS-Regel durch. Dabei wird festgestellt, dass es zu keinem Austritt des Ladegutes und zu keinem Brand gekommen ist. Allerdings wird massiver Dieselaustritt aus den Treibstofftanks wahrgenommen, dieser breitet sich entlang der abschüssigen Verkehrsfläche großflächig aus. Aufgrund der Kennzeichnung des Gespannes (Gefahren- und UN-Nummer) wird der transportierte Stoff als Ammoniumnitrat identifiziert, weitere durchzuführende Maßnahmen entnehmen die beiden Gruppenkommandanten einem mitgeführten Handbuch für Gefahrgutunfälle (Nüssler). Schnell wird klar, dass die erforderlichen Absperrgrenzen festgelegt bzw. aufgebaut werden müssen, was in weiterer Folge zu einer Vollsperrung der Bundesstraße durch die Polizei führt. Aufgrund der Tatsache, dass der Aufleger die Leitschiene beschädigt hat und dadurch eine Beschädigung des Gefahrgutcontainers nicht ausgeschlossen werden kann, wird sofort von der Löschanlage des LFBA ein zweifacher Brandschutz mit Wasser sowie Pulver aufgebaut. Nach Beauftragung dieser Maßnahmen wird umgehend der Stützpunkt für gefährliche Stoffe der Feuerwehr Leoben-Göss zur Einsatzstelle nachalarmiert.

Zwischenzeitlich treffen weitere Kräfte der Feuerwehr Vordernberg ein, die Mannschaft des MTF samt Rüstanhänger Öl bekommt den Auftrag, einen etwaigen Umweltschaden durch die Ausbreitung von Dieselkraftstoff zu verhindern, dazu werden Kanaleinlaufschächte eingedeicht und die mit Treibstoff kontaminierten Bereiche mittels Ölbindemittel abgestreut sowie gebunden. Darüber hinaus errichtet man bei einem nahegelegenen Wasserlauf eine Öl-Sperre um eine drohende Umweltgefährdung bedingt durch Ausbreitung zu verhindern. Nach dem Eintreffen des Gefahrgutstützpunktes Leoben-Göss mit KDT, GSF und LKW unter Gruppenkommandant HBM Herbert Knapp wird sofort eine Temperaturmessung des Gefahrgutcontainers eingeleitet und mit dem Umpumpen des beschädigten Treibstofftankes begonnen. Dazu Knapp: „Die Temperatur des Gefahrgutes lag während unserer laufenden Messungen nie im kritischen Bereich“. In der Zwischenzeit erreicht der stellvertretende Kommandant der Feuerwehr Vordernberg, OBI Dieter Wally mit dem HLF 2 die Einsatzstelle und übernimmt die Einsatzleitung. „Bis zu diesem Zeitpunkt haben unsere beiden jungen Gruppenkommandanten äußerst umsichtig und absolut besonnen an der Unfallstelle agiert“ berichtet uns dazu der Feuerwehrkommandant. Auch wird der Brandschutz mit dem HLF 2 sofort verstärkt.

Nun wird zusammen mit den Spezialkräften die weitere Vorgangsweise beraten. „Wir einigten uns, die Zugmaschine und den Aufleger getrennt voneinander zu heben“. Für diesen Zweck wird ein für Bergungen spezialisiertes Unternehmen aus Trofaiach und ein weiteres Unternehmen mit zwei Kranfahrzeugen hinzugezogen. Für die Positionierung der erforderlichen Anschlagmittel und das anheben werden Container und Aufleger mittels Rüsthölzer unterbaut und gesichert, sowie durch öffnen der Twist-Locks voneinander getrennt. „Zusammen hatten wir beides gemeinsam nicht heben wollen um eine Beschädigung zu vermeiden, das Gesamtgewicht betrug doch an die 30 Tonnen, davon hatte die Ladung selbst 20 Tonnen “ untermauert der Einsatzleiter seinen Entschluss. Mittels Seilwinde des Löschfahrzeuges wird der Aufleger zur Seite gezogen. Bei den Sicherungsarbeiten am Container wird ein geringer Austritt des Mediums im Bereich eines Domdeckels erkannt. Schnell werden die Domdeckel durch den Gefahrgutstützpunkt mittels Rüsthölzern und Spanngurten gesichert - die Gefahr ist gebannt. Daraufhin wird der getrennte Aufleger aufgestellt und durch das private Unternehmen abtransportiert. „Der spannendste Moment kam jedoch jetzt auf uns zu“ erinnert sich HBI Christian Lanner: „Nachdem der Container mit dem 70-t Kran angeschlagen wurde und das heben beginnen konnte, war erst klar das dieser auch durch die Leitschiene nicht beschädigt wurde. Auch jetzt wird ständig die Temperatur kontrolliert und danach Stück für Stück angehoben. „Als der Container endlich sicher auf dem Tieflader abgestellt war, ist die Erleichterung groß, zumal die Bilder aus Beirut doch immer in unseren Köpfen herumschwirrten“ sagt uns der sichtlich erleichterte Kommandant und fügt hinzu: „Obwohl Ammoniumnitrat nicht als Sprengstoff deklariert ist, hat es eher „ungute“ Eigenschaften: bei leichtem Temperaturanstieg und Kontakt mit organischen Stoffen besteht die Gefahr der Selbstentzündung. Die Absperrgrenzen liegen im Brandfall laut Nachschlagewerken  bei mindestens 800 Meter“. Nach dem Abtransport des ramponierten Gespannes und nach mehr als 8-stündiger Einsatzleistung konnte dieser spektakuläre Einsatz beendet werden. „Noch vor dem Abrücken in unser Feuerwehrhaus habe ich mich für die gute Arbeit - vor allem unserer jungen, ersteintreffenden Kräfte - sehr gefreut, sie haben sofort den Ernst der Lage erkannt und den Umgang mit Gefahrgut richtig eingeschätzt. Erst bei solchen Szenarien wird einem Kommandanten bewusst, dass man wohl innerhalb der Feuerwehr in punkto Ausbildung einiges richtig gemacht haben dürfte“ resümiert der Hauptbrandinspektor den Ablauf dieses nicht alltäglichen Einsatzes.

Im Einsatz standen:

FF Vordernberg mit drei Fahrzeugen (MTF/RAH Öl, LFBA, HLF2) und 11 Personen, Stützpunkfeuerwehr für gefährliche Stoffe Leoben-Göss mit drei Fahrzeugen (KDT, GSF, LKWA) und 10 Personen, Polizei, Rotes Kreuz, Chemiealarmdienst der Steiermärkischen Landesregierung, BH Leoben, Straßenmeisterei, zwei private Bergeunternehmen mit zwei Kränen und Tieflader

Fotos: Roland Theny (Filmteam Austria), FF Vordernberg, FF Leoben-Göss

Text: Andreas Reiter

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

     
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Amoniumnitrat ist das Salz, das sich aus Ammoniak und Salpetersäure bildet. Es wird insbesondere zur Herstellung von Düngemitteln und Sprengstoffen verwendet. Ammoniumnitrat wurde erstmals 1659 von Johann Rudolph Glauber durch Reaktion von Ammoniumcarbonat mit Salpetersäure hergestellt. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde es von Grindel und Robin als Ersatz für Kaliumnitrat in Schwarzpulver für die Verwendung in Sprengstoffen in Betracht gezogen. Über seine explosiven Eigenschaften wurde 1849 von Reise und Millon berichtet, als eine Mischung aus pulverförmigem Ammoniumnitrat und Holzkohle beim Erhitzen explodierte. Zu diesem Zeitpunkt wurde Ammoniumnitrat nicht als Sprengstoff betrachtet, obwohl es weltweit zu kleinen Bränden und Explosionen mit Ammoniumnitrat kam. Untersuchungen zeigten, dass Ammoniumnitrat viel gefährlicher war als bisher angenommen und strengere Vorschriften, die ihre Lagerung, Verladung und ihren Transport in den USA regeln, wurden umgehend in Kraft gesetzt.

 

Ammoniumnitrat ist Hauptbestandteil vieler Düngemittel (Ammoniumnitrat-Harnstoff-Lösung, Mehrnährstoffdünger („Blaukorn“), Kalkammonsalpeter (Nitramoncal, Markenname der Chemie Linz, intern NAC)). Außerdem wird es für Sprengstoffe genutzt. Ammoniumnitrat ist beispielsweise in den Sprengmitteln ANC, Donarit und Kinepak enthalten.